Kultur Beilage

„Der Worte sind genug gewechselt, nun lasst mich auch endlich Taten sehen. Indes Ihr Komplimente drechselt, kann etwas Nützliches geschehen.“ Angestrengt blickt der Theaterdirektor in sein leeres Auditorium. Aus dem Dunkel vernimmt er eine bekannte Stimme, die in wohltönendem Bariton salbungsvoll vernehmen lässt: „Sie sind immer so herrlich theatralisch. Und das in diesen schweren Zeiten. Dafür mag ich Sie. Ich meine persönlich. Wir waren nicht untätig, denn wir wissen wie wichtig Kunst und Kultur gerade in diesen Zeiten für uns alle sind. Mein Mitarbeiter hat da etwas für Sie vorbereitet.“ Der Kulturpolitiker, dem nämlich gehört dieser wohltönende Bariton, wendet sich nach hinten, wo in zwei Meter fünfzig Abstand der Angesprochene sitzt. Dieser erhebt sich eilfertig, dienstbeflissen, setzt sich eine Maske in den Landesfarben auf und begibt sich mit einem dicken Konvolut zum Bühnenrand, wo er dem Theaterdirektor das Konvolut hinaufreicht. Gespannt erwartungsvoll öffnet der Theaterdirektor das Konvolut und beginnt das Übergebene zu lesen. So man die Mimik dieses Gebieters über Darsteller professionell deuten müsste, ließe sich sagen: Es entgleiten ihm die Züge. Was dann aus seinem Mund kommt, dem auf so vielen Pressekonferenzen wohlgesetzte Worte über die Bedeutung von Theater entkamen, ist eher ein Stammeln. „Aber…wie soll…das kann doch nicht…ich muss doch…“. Mitleidig und geübt mitfühlend lässt sich der Bariton vernehmen: „Alles zu Ihrem Schutz. Zum Schutz Ihrer Künstler, zum Schutz Ihrer Zuschauer. Und lassen Sie es mich so sagen: Das ist ein Fortschritt. Gemeinsam werden wir in geordneten Bahnen unter Berücksichtigung der Interessen aller einen Weg finden. Sie wissen selber: Ohne Opfer geht es einmal nicht. Und bitte, wir können jederzeit Ihr Haus wieder schließen. Das wollen wir nicht, das wollen Sie nicht. Lassen Sie es mich so sagen: Theater muss sein, aber eben anders.“ Der Theaterdirektor lässt das Konvolut fallen und läuft nach Monologen ringend die Bühne auf und ab. Der Kulturpolitiker sitzt das aus. Man kann ja verstehen, dass der da oben das alles verdauen muss. Schließlich und entschlossen schleudert der Theaterdirektor ein glasklar gut gesetztes <Sein oder Nichtsein> in den Raum: „Und wie sollen wir damit Geld verdienen?“ Scharf, ohne zu zögern schneidet die Stimme des Baritons durch den Raum: „Sie kommen mir mit Geld? Ganz offensichtlich vergessen Sie, wer Ihre Defizite finanziert. Immer schon. Und wir sagen, was jetzt gemacht werden darf. Machen Sie Ihre Podiumsdiskussionen, geben Sie landauf landab den Erregten Kämpfer für Kultur. Das passt zu Ihrer Rolle, würde ich sagen. Kleiner Tipp: Spielen Sie doch einfach Stücke, die niemand sehen will. Dann können Sie sich als den unverstandenen Künstler inszenieren. Könnte Ihrer Karriere helfen. Es geht hier um etwas Größeres, als Ihre Bretterbude. Und ganz unter uns: Sie sind die Beilage und nicht das Hauptgericht. Seien Sie dankbar, dass Sie das wieder sein dürfen!“ Sprach‘ s und legte einen raschen Abgang hin. Der Rest, nun der Rest ist Schweigen.
Natürlich fände ein solches Gespräch nie statt. Natürlich schätzen alle Verantwortlichen in der Kulturpolitik Kunst und Kultur. Das lässt sich schon allein daran festmachen, dass jede wohlmeinende Sonntagsrede von der Bedeutung dieser beiden synonym gebrauchten Schwestern schwadroniert. Welche Festveranstaltung käme ohne ein Streichquartett aus, welche Feier ohne die künstlerischen Beiträge, welche Premiere ohne die Honoratioren. Und Hand auf’s Herz – nach der dritten miserablen Laudatio ist ein Power Napp mit Beethoven einfach erholsam. Kunst hat ihren Platz in dieser Gesellschaft, den nimmt sie ein, der wird ihr zugewiesen. Dazu gehört natürlich Jammern von unserer Seite, aber das kennen die Politiker schon. Wer jammert nicht? Wer braucht denn nicht mehr Geld? Selbst wenn wir denen den Spiegel vorhalten, sie schauen hinein, schminken sich ihr politisches Makeup zurecht und lächeln. Oder schauen betroffen. Wenn es mal ein ernstes Thema war. Aber man kann sich ja vor dem Theaterschlaf informieren mit was man heute Abend provoziert werden soll. Im Großen und Ganzen funktioniert das gut. Es schließt auch nicht aus, dass es tatsächlich einmal Verständnis von beiden Seiten gibt. Das können wir, das können die.
Dann kommt eine Krise. Eine veritable Krise. Mit gefährlichen Dimensionen im Realen, mit gefährlichen Dimensionen in der Darstellung. Eine Krise braucht Krisenmanager. Anwälte für die Sache der Betroffenen. Für uns wäre das der zuständige Ressort Minister. Da steht er der Konjunktiv: Wäre. Ein Minister kann nicht alles richten, aber er muss alles richten wollen. Und er muss den Betroffenen Perspektiven aufweisen, Hoffnung geben, teilhaben, teilnehmen. Damit sind keine Statements auf Podien gemeint. Damit sind keine dämlichen Ratschläge gemeint, die nur Fachfremdheit erweisen. Damit sind keine Statistiken gemeint. Und damit sind schon gar keine Vergleiche gemeint. Wir vergleichen auch, ja. Es ist eben schwer zu verstehen, dass einem Wirtshausdämpfe mit lallenden Mündern und verrutschten Masken begegnen und Theaterbesucher auf ein Minimum begrenzt werden, ohne Pause, ohne Gastro. Aber Vergleiche bringen uns nichts. Wenn die Kinder das und das in Nachbarsgarten dürfen, heißt das nicht, dass wir es in unserem auch dürfen.
Lösungen bringen uns etwas, nicht Losungen. Realistische Lösungen. Die Beispiele, was alles gefahrlos möglich wäre, gibt es. Bestenfalls werden die gehört, aber nicht aufgenommen. Und wo kämen wir denn hin, wenn uns so viele Zuschauer erlaubt würden, den Partys aber nur so viele Gäste? Unsere Anwälte können das den anderen Anwälten nicht vermitteln. Sagen sie. Weil es keine Anwälte sind, sondern Befehlsempfänger, die in einer Kette stehen, statt aufzustehen. Das ist keine Politikschelte. Das ist eine Beschreibung.
Wir sind am Abend dafür verantwortlich, dass der Zuschauer unterhalten wird. Unterhalten in einem verantwortungsvollen Sinn. Jeder von uns kennt den Saal, der sich gegen uns wendet oder noch schlimmer gleichgültig auf den Schlussakkord wartet. Das ist Berufsrisiko und im Zweifel kann es uns die Existenz kosten. Dafür haben wir uns entschieden. Das tragen wir.
Aber dafür müssen unten Zuschauer sitzen. So einfach ist das. Sitzen dürfen. Wir machen die Stimmung am Abend drinnen, die Politik macht tagsüber die Stimmung draußen. „Stellt Euch vor es ist Theater und keiner geht hin.“ Angst, trübe Aussichten, düstere Prophetie, miese Metaphern, Expertentum und eine nahezu militärische Wortwahl. Notabene – die Opposition ist auch Teil der Politik. Sollte ihnen mal jemand sagen. Nur bitte nicht der Staatsregierung.
Jeder verantwortliche Intendant, Konzertveranstalter, Kleinkunstbühnen - Leiter, die Fachverbände – alle werden sagen, das mehr möglich ist. Das muss man uns möglich machen. Das kann man uns möglich machen. Dafür muss sich jemand für uns einsetzen und sich nicht in die nächste Sitzung setzen. Die sitzen das aus, wir gehen den Bach runter. So einfach ist das.
In einer Krise, in dieser Krise können wir alle sehen, was wir wert sind. Wir sind die Beilage, der Schmuck am Tellerrand, die Petersilie für deren Hackbraten. Zur Würze haben wir es nicht gebracht, nur zur Deko. Das liegt an beiden Seiten, kein Zweifel. Aber jetzt brauchen wir die Anwälte, beherzten Einsatz. Damit wir arbeiten können. Das ist der Sinn von Politik – Einsatz für das Gemeinwohl. Wer Angst sät, wird Angst ernten. Eine schöne Aussicht für diesen Herbst.
Alles übertrieben? Alles zu vereinfacht? Alles zu provokant? Ach ja, wer hat denn damit angefangen? Dann einfach mal die Vorschriften der letzten Monate für den Kulturbetrieb durchlesen. So aberwitzig, wie der Katechismus über die Kirche als Braut Christi. Nur nicht so lustig.
„Taktlosigkeit ist der Entschluss das zu sagen, was alle denken.“ Oscar Wilde


Marcus Everding im Oktober 2020
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